Niemand ist eine Insel - Worum es geht

Hallo liebes Internet,

bevor ich als Begleitung zu meinem Projekt mit diesem Blog hier angefangen habe, hatte ich mir eine Liste mit möglichen Themen für Postings gebrainstormed. Das waren dann so catchy Sachen wie "Spotify und Streaming", "Selbstvermarktung als Indie-Musiker", "Gema" oder "Wann ist Musik politisch?". Nachdem ich nach 4 Monaten immer noch nichts davon abgearbeitet habe, nehm ich die Post-Its mal von der Wand und schreibe auch heute wieder eher so frei von der Leber weg.

Die Aufnahmen für mein Album sind so gut wie abgeschlossen und gerade bin ich dabei, die letzten Gesangsspuren aufzunehmen. Mein Arbeitsplatz sieht seit zwei Tagen so aus:

Danke liebes Cairo, dass ich eure Bühne als Gesangskabine zweckentfremden durfte!
Danke liebes Cairo, dass ich eure Bühne als Gesangskabine zweckentfremden durfte!

Ich hab mir selten bei Albumaufnahmen musikalisch so wenige Gedanken um das Endergebnis gemacht. Also natürlich geben wir uns alle Mühe, ich hab nur irgendwie weniger Angst vor Ablehnung, enttäuschten Erwartungen und schlechten Rezensionen als bei früheren Veröffentlichungen. Da ist dieses beruhigende Gefühl, niemandem (nicht mal mir selbst) etwas beweisen zu müssen.

Auf der anderen Seite zerbreche ich mir immer noch ziemlich den Kopf über das "Außenrum". Will ich sowas wie ein Musikvideo für sowas wie eine "Single" haben? Bemustere ich Radiostationen und wie mache ich jetzt eigentlich "Promo" für etwas was ich im Grunde doch gar nicht verkaufen möchte? Wahrscheinlich in dem ich nicht meine Musik als Produkt, sondern mehr die Haltung oder die Idee dahinter bewerbe. Aber das ist für mich Neuland.

Innerhalb dieses Rahmens hab ich mir in letzter Zeit auch sehr viele Gedanken darüber gemacht, auf welchen Punkt ich diese ganze Aktion eigentlich bringen könnte. Na klar ... irgendwie Kapitalismuskritik, irgendwie Selbst-Alternativen-ausprobieren, irgendwie weg von der Marktlogik. Bisher konnte ich alles immer nur relativ vage beschreiben, aber in den letzten Wochen ist in mir eine Sichtweise herangewachsen, die ich hier mal kurz aufdröseln möchte.

Im Endeffekt geht es mir vor allem um menschliches Miteinander. Um Empathie, Vertrauen und Solidarität. 

Letztendlich kann jede politische Weltsicht auf die Frage nach dem eigenen Menschenbild und wie ich mit "anderen" umspringen möchte, runtergebrochen werden. Ich glaube in unserer hochindividualisierten Konkurrenzgesellschaft herrschen nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für ein gutes Miteinander. Man muss sich nur mal den Straßenverkehr ansehen, wo so viele von einer großen Angst getrieben zu sein scheinen, dass sie zu kurz kommen könnten oder jemand anderes ihnen gegenüber einen Vorteil erlangt. Selbst dann, wenn sie nur den Bruchteil einer Sekunde "verlieren" würden. Vielleicht ist das meine subjektive Wahrnehmung, aber erst heute auf dem 5-minütigen Weg mit dem Fahrrad zum Aufnahmeraum haben sich wieder 2 mal Autos die Wege abgeschnitten und gegenseitig freudig (naja, wahrscheinlich eher nicht) angehupt. Eigentlich ist das gar nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass wir alle durch ein Schulsystem gegangen sind, das zu großen Teilen auf Konkurrenz und Selektion basiert. Es heißt ja "Jeder ist seines Glückes Schmied" (auch wenn die Hämmer und das Roheisen alles andere als gerecht verteilt sind) und wir genießen alle Freiheiten. Liberal im modernen, neo- und wirtschaftsliberalen Sinne, beinhaltet aber eben auch die Freiheit, dass mir die anderen scheißegal sein dürfen, damit ich mich im Wettbewerb besser durchsetzen kann. Wenn ich bei der Berufswahl in erster Linie an mich selbst denke und alle verfügbare Zeit in die Optimierung meiner eigenen Biographie stecke, vielleicht sogar auf Kosten anderer, wird das in der Regel mit mehr Geld und Ansehen honoriert, als die Entscheidung, in der Pflege zu arbeiten und zusätzlich ehrenamtlich in der Bahnhofsmission Suppe zu verteilen oder die örtliche Jugend-Handballmanschaft zu trainieren.

Ob ich im Straßenverkehr auf die Hupe drücke oder nicht, ob ich mein Zimmer bei Couchsurfing oder AirBnB zur Verfügung stelle, ob ich mir die Fairtrade-Hose kaufe oder mir das Geld heute dann doch lieber für das neue iPhone aufspare, ob ich bei einer Diskussion im Internet nach 2 Minuten ausfällig werde oder mir die Mühe mache, mich durch die Anonymität hindurch in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, ob ich dafür bin, so viele Flüchtlinge wie nur irgendwie möglich aufzunehmen oder damit d'accord gehe, dass sie auf Lesbos oder in Libyen unter menschenunwürdigen Verhältnissen verrecken, damit ich die Probleme nicht vor der eigenen Haustür sehen und angehen muss ... das alles hängt am Ende davon ab, wie ich mit anderen Menschen umgehen möchte. Zugegeben, in einer globalisierten Welt ist unser Handeln auf der Gefühlsebene oft völlig entkoppelt von den Effekten, die wir damit auf andere ausüben. Irgendwie haben wir die Empathie nicht mitglobalisiert.

Mir ist natürlich bewusst, dass Menschen immer schon so waren. Sich um Ressourcen, Macht und Besitz gestritten und in Gruppen unterschiedlichster Größe voneinander abgegrenzt haben. Ich glaube aber, dass der Kontext in den man uns setzt und der Grad der Bereitschaft uns in andere hineinzuversetzen, mitbestimmend dafür sind, wie wir miteinander umgehen und ich bin mir sicher, dass es in unserer hochtechnisierten Welt des Überflusses einen besseren, humaneren und gerechteren Kontext geben kann, als den des globalen Kapitalismus.

Ich versuche mal wieder die Kurve zu kriegen und das Ganze mit meinem Aktionismus zu verbinden. Vielleicht kann der Ansatz, meine Musik zu verschenken, mich hier zu öffnen und angreifbar zu machen und im Gegenzug auf Augenhöhe um Hilfe zu bitten, eine Übung im Miteinander auf kleinster Ebene sein. Musik hat ja seit jeher die schöne Eigenschaft, Menschen miteinander zu verbinden. Sei es beim gemeinsamen Singen und Musizieren, beim Zuhören auf Konzerten oder der Möglichkeit, sich in Texten selbst wieder zu finden und verstanden zu fühlen. Ich finde den Gedanken schön, als Musiker vor allem auch Teil des Kitts zu sein, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Eigentlich versuche ich nichts anderes, als alles was von diesem Gedanken ablenkt, ein bisschen auf Seite zu schieben und uns nicht als Musiker und Publikum, als Produzent und Konsumenten, sondern als Menschen zu sehen, die sich in irgendeiner Form begegnen, wahrnehmen und im gegenseitigen Vertrauen etwas austauschen.

Sind wir auch noch so misanthrop, sind wir letztendlich doch nichts ohne die anderen. Selbst den hupenden SUV-Fahrer und mich Songwriterschluffi verbindet am Ende, dass wir beide soziale Wesen sind und, jeweils auf unsere eigene Art und Weise, gesehen werden wollen.

Niemand ist eine Insel.

Auch nicht Euer

Hannes

Dieser Blogeintrag ist die Fortsetzung zu diesen beiden Artikeln:
UM KEINEN PREIS - WARUM ICH MEINE MUSIK VERSCHENKE

NUDELN MIT PESTO GEGEN DIE KRISE - WIE ES SICH ANFÜHLT

 

Hier geht es weiter:
ENT-ENTFREMDUNG - WIE ES SEIN KANN
ÜBER GELD SPRICHT MAN NICHT - HAT ES SICH GELOHNT?

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Kommentare: 7
  • #1

    Luise (Freitag, 05 Oktober 2018 09:22)

    Applaus!
    Ich hoffe und wo ich das unterstützen kann tu ich auch das, dass Du Dich in diese Richtung weiterentwickeln kannst. Erwische mich selbst dabei, immer wieder grandios an Idealismus zu scheitern. Bis jetzt habe ich noch häufiger gewonnen und Solidarität macht zum Glück auch weniger einsam als Konsum und Egoismus. In der Hoffnung, dass der Kapitalismus keine Windmühle ist, steigen wir auf's Pferd und reiten los.

  • #2

    Steffi (Freitag, 05 Oktober 2018 11:31)

    Hm. Schöne Gedanken, schön gesagt.
    Aber dann schaue ich auf das Einkaufszentrum gegenüber und bin mir nicht sicher, ob ein paar von den Menschen mit prall gefüllten Designertüten nicht doch Sylt sind.

  • #3

    Isabel (Freitag, 05 Oktober 2018 12:27)

    Morgens aufstehen für mehr Empathie ♥

  • #4

    Björn (Montag, 08 Oktober 2018 07:41)

    Lieber Hannes,

    vielen Dank für deine Worte und Gedanken! Es ist schön, zu lesen, dass du zu den Menschen gehörst, die eine neue Welt denken, statt sich für die alte zu verbiegen, bis sie brechen.
    Ich bin sehr traurig, dass ich Sonntag nicht in Kiel bin, das Fahrradkinokombinat in der Alten Mu wird dir sehr gefallen :)
    Sind dir Nico Paech, Harald Welzer, plurale Ökonomik und die Transition-Bewegung bekannt?
    (Mit der letzten muss ich mich selbst endlich mal beschäftigen)
    Über dein Beispiel "AirBnB" bin ich gestolpert, das passt für mein Gefühl nicht zum Rest der Gedanken, geht es da doch auch um Gewinn und ist die Organisation dahinter etwas fragwürdig, auch wenn ich selbst es aus Bequemlichkeit schon genutzt habe und auch nette Leute darüber kennengelernt habe.
    Vielleicht wären pumpipump.ch oder mundraub.org schönere Beispiele, auch wenn sie nichts mit Wohnraum zu tun haben.
    Danke, dass es dich gibt :)

  • #5

    kathi (Montag, 15 Oktober 2018 08:47)

    "menschen, die vielleicht nicht immer das tun, was von ihnen erwartet wird. und diese menschen halte ich für sehr wichtige menschen, die dann eventuell auch veränderungen herbeirufen können." sagt alles, finde ich. hör nicht auf. auch fernab möglicher musikmarktpolitischer effekte (zu hoffen!!), du veränderst sowieso. und wer weiß, vllt wird simon ja trommler - danke für den großartigen nachmittag im FKK gestern!

  • #6

    Gero Meier (Mittwoch, 07 November 2018 19:43)

    Das ist ja interessant. Korrespondiert total mit dem Ansatz von Stefan Hiene. Wehr empfehlenswert auf Facebook oder als Autor verschiedener kleiner Bücher.

  • #7

    Dennis Schütze (Mittwoch, 02 Januar 2019 07:41)

    Schon mal "Das Geschäft mit der Musik" (2013) von Berthold Seliger gelesen? Auch "I have a stream" (2015) von ihm ist sehr interessant.

    Hoffe sehr, dass du im neuen Jahr nicht immer nur billige Nudeln mit Fertigpesto aus'm Glas essen musst ;-)

    Happy 2019 & beste Grüße aus Würzburg
    Dennis Schütze