Vor ziemlich genau 2 Monaten hab ich in einem Statement erklärt, warum ich in
Zukunft meine Musik verschenken und Konzerte auf Pay-What-You-Want-Basis spielen möchte. Die Resonanz war unfassbar und ich bin zutiefst dankbar für den riesigen Haufen an Zuspruch
und Unterstützung, der mich seitdem erreicht hat. Ich habe dutzende nette, interessante, nachdenkliche Kommentare, Mails und Nachrichten bekommen und auch mein erstes
Pay-What-You-Want-Konzert in Würzburg hat tatsächlich super funktioniert und sich unglaublich gut angefühlt. Das alles lässt mir den Weg, den ich eingeschlagen habe, direkt ein bisschen weniger
wackelig erscheinen.
Zwei Tage nach Veröffentlichung des Blogartikels, saß ich zusammen mit Jonny und Kilian im Studio in Mannheim und wir haben uns von den ersten Spenden zum Abendessen Nudeln mit Pesto gegönnt.
Klingt erstmal wahnsinnig unspektakulär, hat sich aber tatsächlich ganz großartig angefühlt ... Ich muss nach wie vor Fahrtkosten, Studiomiete, Gagen und die Rechnung im Supermarkt zahlen,
aber für mich sind die Geldbeträge, mit denen ich das alles Finanziere, nun irgendwie mehr an Vertrauen als an Erwartungen gekoppelt.
Klar, der Träger ist immer noch Geld, aber der Austausch fühlt sich wesentlich direkter, persönlicher und irgendwie ungezwungener an als über die üblichen 3-5 Ecken. Außerdem gibt das
entgegengebrachte Vertrauen wiederum mir das Vertrauen, dass meine Idee nicht komplett auf Unverständnis und taube Ohren stößt und ich mich nicht in einem Jahr in einem Call-Center oder
hinter dem Lenkrad eines Taxis wiederfinden werde.
Bei vielen Gesprächen, die ich in den letzten Wochen geführt habe, war die zentrale Frage, ob sich das denn für mich rechne. Es gibt also die Erwartung, dass ich kalkuliere, am Ende in
irgendeiner Form "besser" dazustehen als zuvor. Und tatsächlich erwische ich mich immer wieder dabei, dass ich betriebswirtschaftlich ausrechne, wer mir vielleicht wo wieviel Geld bezahlt und
mich frage ob die zusätzliche Aufmerksamkeit, die meine ungewöhnliche (oder eher non-existente) Vertriebsmethode erzeugt, wohl das Wegfallen der üblichen Promokanäle ausgleichen kann. Das
ökonomische Denken, von dem ich eigentlich ein Stück wegkommen möchte, steckt dann doch ganz schön tief in mir drin.
Neu ist für mich das Gefühl, dass mir seit meinem Statement ein bisschen genauer auf die Finger geschaut wird. Vielleicht ist das auch wirklich nur ein Gefühl, ich bin aber auf jeden
Fall nicht gewohnt so viel Angriffsfläche und Diskussionsspielraum zu bieten. "Warum bist du noch bei Facebook?" (ich seh gerade leider keine Alternative um mein Publikum zu erreichen),
"Magst du dein Spendenkonto nicht lieber bei einer sozial und ökologisch agierenden Bank einrichten?" (guter Punkt, ich hab mal ein Konto bei der GLS Bank beantragt), "Propagierst du mit deiner Aktion nicht die Denke, dass Musik keinen Wert
hat und machst damit anderen Musikschaffenden das oft eh schon harte Leben mit der Kunst zusätzlich schwerer?" (uff ... gebt mir mal eben ein halbes Jahr, damit ich mich mit ein paar
Philosophen, Soziologen und Ökonomen austauschen und anschließend einen Roman über das Thema schreiben kann) sind nur ein paar Beispiele aus den letzten Wochen. Ich muss feststellen, dass
meine Entscheidung einen Prozess losgetreten hat, bei dem sich ununterbrochen neue Fragen aufdrängen. Als Mensch, der gerne gemocht werden und es am liebsten immer allen recht machen möchte, tue
ich mir wahnsinnig schwer damit zu polarisieren. Beim Schreiben meiner Blogartikel hab ich immer das Gefühl eigentlich viel zu viele Fragen offen zu lassen und am liebsten würde ich jegliche
Kritik antizipieren um sie dann zu relativieren, bevor sie überhaupt an mich herangetragen werden kann.
Last but not least stelle ich fest, dass der Musikindustrie-kritische Part meiner Aktion für mich immer weiter in den Hintergrund rückt und inzwischen fast schon eine Nebelkerze ist, die eher
davon ablenkt, was mich eigentlich aufwühlt und zu meiner Entscheidung getrieben hat. Um das zu erklären, muss ich zum Schluss nochmal ein bisschen weiter ausholen.
Ich bin zutiefst besorgt über die Entwicklungen unserer Zeit. Sowohl im Ökologischen (Klimawandel, Plastikberge) als auch im Politischen (europaweiter Rechtsruck, Flüchtlingswellen und der
desolate Umgang damit) und Gesellschaftlichen/Sozialen (Arm-Reich-Schere, zunehmende Individualisierung und Entfremdung, fehlende Empathie). Auf der Suche nach den Ursachen stoße
ich am Ende immer wieder auf ein Wirtschaftssystem, dass sich einen Scheißdreck um Mensch und Natur schert. Die Gesellschaft, samt ihrer moralischen Normen und Werte, sollte die Basis für
die Wirtschaft sein und nicht anders herum. Unsere Wirtschaft hat aber ein Eigenleben angenommen, beeinflusst die Gesellschaft massiv und breitet sich gleichzeitig in sämtliche
Lebensbereiche aus. Ökonomische Denkweisen und Zwänge bestimmen mehr und mehr, wie wir uns in unserer Gesellschaft gegenüber Anderen verhalten. Geld (sparen/verdienen) und Wohlstand
scheinen am Ende universell tolerierte Rechtfertigungen für ALLES zu sein und wirtschaftliche Bedenken und Interessen stechen somit regelmäßig moralische Fragen aus.
Ich nehme überall wahr, dass ich mit meinen zunehmenden Sorgen nicht alleine bin. Aber unsere globalisierte Welt mit ihrer überwältigenden Komplexität und schier unfassbaren Anzahl an
Verknüpfungen und Zusammenhängen, führt schnell dazu, dass man sich gnadenlos ohnmächtig fühlt. Man verdrängt dann entweder gleich komplett oder kehrt in seine Blase zurück und
versucht das eigene Gewissen mit bewussterem Konsum, der einen oder anderen Spende und dem auf Facebook geteilten kritischen Artikel oder Video über Wasser zu halten. Leider glaube ich, dass das
mittelfristig nicht reichen wird ...
Ich mache hier offensichtlich riesige Fässer auf und es stellt sich die Frage, wie ich von dieser Denke jetzt wieder zurück an einen Punkt komme, an dem meine Geschichte über Nudeln mit
Pesto dagegen nicht komplett irrelevant und banal erscheint.
Wenn man sich zu lange mit den Schieflagen in unserer Welt beschäftigt und sich dabei ewig in Theorien verheddert, die zwar alles blendend erklären können, aber selten konkrete Lösungen
anbieten, landet man schnell an düsteren Orten. Ich muss irgendwo anfangen in irgendeiner Form aktiv zu sein um nicht komplett zu resignieren und zum Zyniker zu werden. Dabei bin
ich limitiert auf die eigene Reichweite und die "Werkzeuge", die mir zur Verfügung stehen. Für mich ist das vor allem meine Rolle als Musiker.
Nachdem ich vor zwei Monaten mein Statement geschrieben und auf den Post-Button gedrückt hatte, ist wahnsinnig viel in mir hochgekommen. Ich saß den Tränen nah auf meinem Bett und hab gespürt wie
sich eine große Erleichterung über mich legt. Das mag jetzt übertrieben und pathetisch klingen, aber für mich war das der Moment, in dem ich mich endlich zu einer Sache verhalten habe, die
schon seit Jahren an mir nagt und mich immer wieder in kleinere und größere Krisen stürzt. Sonst hätte es wohl kein neues Album von mir gegeben.
Soviel zum Anfang.
Am Wochenende sind wir wieder im Studio in Mannheim. Ich freue mich riesig auf die Musik und werde beim Abendessen mal an euch denken.
Danke für's Lesen und bis demnächst!
Hannes
Nachtrag
Ein paar weiterführende Gedanken und den Versuch, meinen Aktionismus ein bisschen besser auf den Punkt zu bringen, findest du im nächsten Blogeintrag:
NIEMAND IST EINE INSEL - WORUM ES GEHT
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Tobias (Mittwoch, 08 August 2018 22:59)
Hallo Hannes,
danke für diese Gedanken. Ja, ich spüre es auch oft. Die Unzufriedenheit, manchmal die brodelnde Wut darauf, dass vermeintlich objektive Finanzanalysen des eigenen Lebens (und dessen Planung über irrwitzige 30-50 Jahre hinaus) das zentrale Mantra für viele sind. Glücklicherweise nicht für alle. Und ich bin manchmal auch wütend und enttäuscht von mir - dass trotz so vieler Emotionen und Überzeugungen oftmals so wneig raus kommt. Das Unterbewusste, dass diese Fehlentwicklung bereits tief in unserer Sozialisation hinterlassen hat, ist so oft so schwer zu bekämpfen. Und es gibt schier endlos viele (Schein-)Argumente, warum das jetzt auch mal ok ist, nicht nur nach den eigentlichen Überzeugungen zu handeln (Absicherung der Familie, Vorsorge für Frau und/oder Kind, der Glaube sich irgendwas finanzielles Gönnen zu müssen, die mitunter widerliche Erwarungshaltung anderer, das eigene Leben bis zum Ableben finanziell sicher durchgeplant zu haben).
Deshalb verstehe ich total gut, dass der Moment des endlich mal "Durchziehens" bei dir so viel aufgewühlt hat. Und ich hoffe, ich erreiche diesen Punkt auch noch.
Danke für deine Texte - egal ob in Liedern oder Blogposts!
Dein Poster mit "Gute Nacht"-Widmung hängt nach wie vor über dem Bett meiner nun 3-jährigen Tochter :D
Tobias
Claudia (Donnerstag, 09 August 2018 10:47)
Hallo Hannes,
Du bist gut so wie du bist.
Der Rahmen hier ist für so komplexe Themen und die Gedanken dazu einfach zu klein. Kritik kann man an allem üben . Da gibt es immer jemand der was zu Kamellen hat . Aber es ist ja dein Leben! Da darfst du doch ganz frei deine Wege gehen. Und besser du tust einen Teil von dem und bist auf dem Weg, als es gar nicht zu versuchen weil es den perfekten weg nicht gibt. Ich wünsche dir alles gute.�
Und das man sich sorgen um die Existenz macht, die ja nun mal in unserer Struktur nicht komplett ohne Geld für Einkäufe Sprit etc. machbar ist, ist doch immanent.
Anne Passers (Donnerstag, 09 August 2018 11:47)
Mega gut! Und mutig einen anderen Weg zu gehen und zu zeigen, dass es anders geht. Man polarisiert dadurch automatisch und weckt dadurch hoffentlich andere auf.
Ich arbeite als Ärztin (amerikanische Chiropraktik) ab Oktober selbständig. Da meine Arbeit von gesetzlich versicherten selbst gezahlt werden muss und dieses ganze "privat/nicht-privat System" so ein Mist ist, werde ich hoffentlich irgendwann eine Box an der Wand haben: Jeder schmeißt das rein was es ihm wert ist oder was er zahlen kann. Das wird viele Kollegen verärgern und jetzt schon höre ich: "Geht nicht, kannst Du nicht machen, ..." Welchen Weg hast Du steuerrechtlich gefunden, um so arbeiten zu können?
Liebe Grüße
Basti (Donnerstag, 09 August 2018 12:41)
Hi Hannes.
Ich muss mich leider kurz fassen. Grundsätzlich find deinen neuen Weg absolut beeindruckend. Wäre ich selbst kein armer Student, würde ich dir auch mal Nudeln spendieren. So viel dazu.
Was ich auch unterstütze, sind die Sichtweisen, die dich dazu gebracht haben. Klima kaputt, Menschen scheiße, Geld überall, Herzlichkeit nirgends. Alles richtig. Ich frage mich allerdings, ob es je wirklich anders war. Bei ganz vielen Menschen, und ein klein bisschen auch in deinem Blogpost, scheint diese diffuse Ansicht mitzuschwingen, dass sich all der Mist, den wir heute erleben, jetzt gerade erst entwickelt. Ich glaub halt, dass es den schon immer gab, in der einen oder anderen Form.
Natürlich heißt das nicht, dass es sich nicht lohnt dagegen anzukämpfen, ganz im Gegenteil. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und sage, dass jeder, der deine Musik gut findet, dem mehr oder weniger zustimmt. Ich bin nur immer sehr vorsichtig, Dinge speziell unserer Zeit zuzuschreiben, speziell die unsere, jetzige Zeit zu verabscheuen. Wir kämpfen für nichts, was schon mal war, sondern für etwas, was es noch nie gab. Danke, dass du dabei mitmachst.
Allerliebstes und immer guten Appetit aus Wien :)
Hannes (Donnerstag, 09 August 2018 15:03)
@alle
vielen dank für euer kommentare!
@anne
zur steuerfrage: ich muss meine einnahmen aus konzerten und spenden ganz normal als einkünfte aus künstlerischer tätigkeit beim finanzamt angeben
@basti
ich gebe dir grundsätzlich recht ... es gab schon schlimmere zeiten, menschen hatten schon immer das potential scheiße zu sein und das wird sich wohl auch nie ändern. ich bin aber davon überzeugt, dass viel davon abhängt, wie viel raum diesem potential gegeben wird. es kommt für mich also darauf an in welchen kontext man menschen setzt, und bei der art und weise wie wir alle eingebettet sind (leistungsgesellschaft, wachstumszwang, turbokapitalismus, etc.) nehme ich in den letzten jahren/jahrzehnten eine nicht so rosige entwicklung wahr. (jedenfalls in deutschland)
Mandy (Donnerstag, 09 August 2018 17:33)
Lieber Hannes,
ich will dir sagen das du das ganz toll machst und weiter durchhalten sollst. Klar kommt man schnell dazu, sich ohnmächtig zu fühlen, wenn man sich all der Ungerechtigkeit und der schlimmen Dinge gegenüber sieht, die man erfassen kann. Aber auch kleine Beiträge helfen dem Ganzen. Ich bin schon lange, so denke ich, ein Mensch, der sich für dafür im kleinen engagiert, damit alles besser werden kann. Und es gibt viele solche Menschen, man verliert es nur manchmal bei all dem Trubel aus den Augen. Ich bin vor 6 Jahren schwer krank geworden und eine Besserung war nicht in Sicht. Eines was mich in dieser Zeit über Wasser gehalten hat war Musik und zu einem größeren Teil auch deine Musik. Jetzt bin ich seit ca. 2 Jahren vollständig geheilt. Mir geht es gut und ich kann mich wieder mit vollem Elan für das einsetzen, was ich für gut halte. Ich denke, dass vielen Menschen gerade in schweren Zeiten Musik hilft, weiter zu machen, oder nachzudenken. Deswegen ist es gut, dass es deine Musik gibt. Danke!
Annette (Donnerstag, 09 August 2018 17:40)
Hi Hannes,
seit dem Castle-Rock 2011 weiß ich von Mellow Mark, "denk nich immer nur an dich selber, ...., also tu nicht ander'n an, was dir selber nich gefällt. Doch in der Schule lernt man Ego, Ego..." Ich denke, die Mischung machts. Wenn die Pay-what-you-want-Geschichte gerade das Richtige für dich ist, dann mach das weiter! Egal, was die anderen sagen. Du erfindest dich doch eh alle paar Jahre neu :-) Ganz viel Spaß und Erfolg wünsche ich dir, und halte uns bitte weiterhin auf dem Laufenden. Es macht so viel Freude, deine Blogs zu lesen!
Liebe Grüße aus Fuscht