Gesunde Stunden - Über den Weg zurück auf die Bühne

 

Hallo ihr lieben Menschen,

Ende Januar war ich in Hamburg und hab mich zum ersten Mal, seit einer gefühlten Ewigkeit, wieder öffentlich mit einer Gitarre vor Menschen gestellt und ihnen Lieder vorgesungen. Ein kleines Konzert für 25 Minuten als unangekündigter Special Guest vor ca. 50 Zuhörenden in einem total schönen Atelierladen. Und ein paar Tage später ein Zweites in gleicher Länge auf der großen Bühne beim HAM.LIT Festival im Uebel&Gefährlich. Der erste Auftritt war im positiven Sinne ganz schön intensiv und ich musste echt aufpassen, zwischendurch nicht einfach los zu heulen. Ich hab mich sogar dazu entschieden, ein bestimmtes Lied doch nicht zu spielen, weil es mir ziemlich sicher den Rest gegeben hätte. Beim zweiten Auftritt war ich trotz großem Saal viel stabiler. Ich hab gemerkt, dass das mit dem Lieder vorspielen und zwischendurch ein paar flotte Sprüche parat haben, tatsächlich doch ein wenig wie Fahrradfahren ist. Da wurde also, trotz meiner Befürchtungen, nicht alles verlernt, ich bin erneut nicht von der Bühne gefallen und hatte vor allem einen ziemlich guten Abend unter vielen tollen Menschen.

Das ist gar nicht so selbstverständlich, weil ich nach meinem Burnout/meiner depressiven Episode
wie auch immer man das nennen mag – mehr, denn je, an meinem bisherigen Beruf gezweifelt habe und das, wenn ich ehrlich bin, in einigen Punkten auch nach wie vor noch tue. Vor ein paar Monaten war ich mir noch nicht sicher, ob ich überhaupt wieder Konzerte geben möchte. Ich hab viel darüber nachgedacht, warum ich und so viele andere Menschen den Drang verspüren, sich zusammen mit ihrem, in Geschichten und Lieder verpackten Innersten auf Bühnen zu stellen. Ich hab mit einigen „Kolleg*innen“ darüber gesprochen, welche Löcher wir versuchen zu füllen, wie unsere Bedürftigkeit nach Verbindung und der Wunsch geliebt zu werden uns offen und durchlässig machen und warum all das einen Sog zwischen Bühne und Publikum erzeugt, der sich in beide Richtungen entfaltet und gegenseitig wirkt. Ich hab mich gefragt wo dieser Sog her kommt, warum er so erhebend, faszinierend und wohltuend sein kann und zugleich so erschütternd viele von den Bühnenmenschen in meinem Umfeld und auf der ganzen Welt, regelmäßig in Überforderung und Depression stürzt, nicht selten in sich immer und immer wieder wiederholenden Kreisläufen. Was das mit uns allen zu tun hat, was das über die Gesellschaft in der wir Leben sagt und ob diese Dynamik, dieser Sog am Ende nicht auch uns allen schadet.

Wie immer halt, die ganz großen Fragen.

Ich glaube, einige von ihnen inzwischen besser beantworten zu können und hab angefangen einen ausführlichen und zutiefst persönlichen Essay über parasoziale Beziehungen, leidende Künstler*innen und die Funktionen unserer modernen Kunst- und Kulturwelt zu schreiben. Ich hab versucht, mich und meine Beobachtungen haarklein zu erklären und daraus vielleicht einen winzigen Schnipsel Erkenntnis über das große Ganze zu generieren. Wie immer halt.

Und dann hab ich festgestellt, dass ich eigentlich ganz schön müde bin vom immer-alles-haarklein-Erklären der letzten fünf Jahre. Stattdessen hab ich angefangen das hier zu schreiben um zu erklären warum … nein … zu erzählen, dass ich mich gerade nicht mehr so viel erklären möchte. Ich möchte mir selbst die Dinge ein wenig leichter machen, nach überstandener Talfahrt nicht schon wieder den nächsten Steilhang bearbeiten und mich vielleicht für einen Moment auf die Teile konzentrieren, die sich schön anfühlen. Ich möchte lieber einfach noch an ein paar Abenden ein paar Sachen vorspielen, die ich mir in den letzten Monaten so ausgedacht habe. Zum Beispiel hier:

02.10. Hannover - Lux (zusammen mit der tollen Nichtseattle)

03.10. Berlin - Lark

05.10  Hamburg - Knust

06.10. Köln - Artheater

07.10. Würzburg - Cairo

So zum erstmal Ausprobieren, wie das so ist mit richtigen langen eigenen Konzerten und um zu sehen, wer sich da draußen nach dem ganzen Covid-Schlamassel überhaupt noch dafür interessiert, ob ich von der Bühne falle oder nicht. Und wenn sich das gut anfühlt, werden später noch ein paar weitere Abende dazu kommen. Ich hab die kleine Tour „Gesunde Stunden“ getauft. Weil wir die gerade sicher alle ganz gut gebrauchen können und weil ich darüber auch in einem der neuen Lieder singe, die ich auch auf der Tour vorspielen möchte. Ich hab es neulich bei mir zu Hause für euch aufgenommen:

 


Tickets für die Konzerte gibt es HIER in zwei frei wählbaren Preiskategorien (außer Würzburg, da bitte HIER klicken).

Ich hätte gerne einfach weiter auf Pay-What-You-Want-Basis gespielt, muss aber gestehen, dass mir dafür einfach die Energie fehlt, vor allem im Alleingang-Modus der letzten Jahre. Weil die bestehenden Strukturen dafür schlichtweg nicht gemacht sind und der Live-Bereich der Ort ist, an dem ich mich in den letzten Jahren wohl am allermeisten erklären musste. Dazu kommt noch, dass sich die Zeiten seit der Pandemie inzwischen leider geändert haben und die Veranstalter*innen und Clubs mehr denn je auf eine gewisse Planungssicherheit angewiesen sind. Wenn du vorbei kommen magst, gerade aber wirklich knapp bei Kasse bist, hab ich aber immer ein paar Plätze auf der Gästeliste frei. Schreib mir gerne einfach unter KONTAKT eine Nachricht.

Apropos andere Zeiten: Seit ich vor fast fünf Jahren beschlossen hab einfach alles zu verschenken und den Musikbusinesskram nicht mehr mit zu machen, um mal zu schauen was passiert, hat die Pandemie nicht nur den Live-Bereich nachhaltig verändert. Inzwischen ist es wohl auch so, dass wirklich so gut wie ALLE Menschen ihre Musik via Streaming hören. Das soll jetzt kein Vorwurf sein, mehr eine Feststellung. Ich hab sogar immer wieder Nachrichten bekommen, von Leuten, die mir schreiben, dass sie es bedauerlich finden, dass ich meine Musik bei Spotify und co. nicht anbiete und so den Menschen vorenthalten würde. Gefühlt ist der Vorwurf erstmal völlig verquer, weil ja alles komplett frei verfügbar zum Runterladen und Streamen hier auf der Seite steht, aber inzwischen muss ich leider feststellen, dass da wohl wirklich etwas dran ist. Das Streamen von Medien über große Plattformen ist in den letzten Jahren so selbstverständlich geworden, dass ich mich inzwischen nicht nur einer Hand voll Firmen entziehe, deren Geschäftsmodelle und Verwertungslogik ich problematisch finde, sondern eher eine Kulturtechnik boykottiere. Leute entdecken neue Musik bei Spotify und Co., erstellen Playlisten für Freund*innen, so wie sie früher vor dem Radio gesessen und in liebevoller Kleinstarbeit Mixtapes aufgenommen haben und wenn man den Vergleich weiter bemüht, ist es wohl ein bisschen so wie wenn meine Musik vor 30 Jahren grundsätzlich auf Kassette und CD nicht abspielbar gewesen wäre. Ihr ahnt wahrscheinlich schon, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, meine Alben in Zukunft zusätzlich wieder bei den Streaming-Plattformen hochzuladen. Das tut ein bisschen weh, es würde aber auch in die Kategorie „Mir die Dinge ein wenig leichter machen“ fallen.

Habt ihr gemerkt, wie ich gerade heimlich doch wieder ganz viele Sachen erklärt hab? Gut oder? Ein wenig ist das natürlich meiner Sorge geschuldet, irgendjemanden zu enttäuschen, wo ich doch jetzt nicht mehr so konsequent bin. So kann ich sämtliche Leute, die mich vielleicht Fragen, warum ich manche Dinge jetzt doch wieder anders mache, einfach auf diesen Artikel hier verweisen. Euch ist ja vielleicht schon aufgefallen, dass ich eher so der Typ bin der dazu neigt, sich für alles und jeden verantwortlich zu fühlen. Das ist auch so etwas, woran ich arbeiten will um in Zukunft nicht von irgendwelchen Bühnen oder einfach nur aus meinen Latschen zu kippen. Ich denke ich hab meinen Punkt gemacht, unfassbar viel gelernt und dabei offensichtlich auch ein paar Federn gelassen. Und jetzt geht es eben irgendwie weiter.

Also hiermit nochmal ein Dankeschön, von Herzen, an all die Menschen, die mich in den letzten fünf Jahren mit ihren Spenden unterstützt und mir damit überhaupt erst ermöglicht haben, auf Forschungsreise zu gehen und mit so einer großen Freiheit so vieles ausprobieren zu können. Selbst nachdem ich hier mehrfach darauf hingewiesen hab, dass ich gar nicht weiß, wann oder ob es überhaupt wieder etwas von mir zu hören oder zu lesen gibt, hat eine wirklich rührend große Anzahl von euch völlig unbeeindruckt ihre Daueraufträge einfach so weiter laufen lassen. Es sind sogar noch ein paar mehr dazu gekommen. Das hat schon sehr dazu beigetragen, dass ich mir die Zeit nehmen konnte die ich gebraucht hab, um wieder auf die Beine zu kommen. Danke. Ich vertraue einfach mal darauf, dass ihr selbst für euch entscheiden könnt, wann es genug ist. Ich selbst lerne das gerade.

Bis bald, vielleicht ja sogar in der echten Welt.

Hannes

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Kommentare: 17
  • #1

    Sven (Dienstag, 04 April 2023 12:24)

    Weniger erklären ist auch total gut.

    Mal schauen wo ich es hinschaffe, Würzburg ist immerhin das gleiche Bundesland.

  • #2

    Niko (Dienstag, 04 April 2023 15:57)

    Schön von Dir zu hören, lieber Hannes. Und noch schöner, dass es Dir besser geht.

    Zum Thema Hörverhalten: Ich ganz persönlich, und damit möchte ich ganz ausdrücklich keinesfalls irgendeine Erwartungshaltung zum Ausdruck bringen, freue mich immer über einen mit viel Liebe hergestellten analogen Tonträger, den ich meinen Lieblingsmusiker:innen für Geld abkaufen kann. Einfach, damit deine Musik auch in 100 Jahren noch bei meinen Urenkel:innen im Schrank steht. Sofern sie dann noch einen Schrank haben. Solltest Du also irgendwann mal wieder einen solchen Tonträger herstellen wollen - count me in.

    Bis hoffentlich Hannover
    Niko

  • #3

    Maria (Dienstag, 04 April 2023 16:50)

    Es ist einfach unglaublich, wie mir immer wieder das Herz aufgeht, wenn ich einen Text von dir lese.

    Und auch wenn ich mich selbst zu den sich immer wieder selbst erklärenden Leuten zähle, so tut es mir dennoch gut, deinen Erklärungen hier zu folgen. Nicht weil du Rechenschaft schuldig bist, sondern weil ich dadurch lerne und teilhaben kann an Ideen. Deine angedeuteten Zweifel zur Änderung hin zu Eintrittspreisen und Angebot deiner Musik auf Streaming-Plattformen finde ich übrigens nicht nötig. Es wäre doch viel schlimmer immer dogmatisch an etwas festzuhalten, was dir schadet oder nicht gut tut. Mir gefällt das (also dass du Dinge einfach änderst). Gerne auch einfach immer wieder so, wie’s grad steht!

    Jede Kursänderung (insbesondere die, die uns selber gut tun!) ist höchst willkommen und bringt auch für uns auf der anderen Seite wieder Ideen zum Nachdenken!

  • #4

    Robin (Mittwoch, 05 April 2023 20:18)

    Ich habe bis jetzt jede Vinyl von dir gekauft und werde das auch in Zukunft tun � Meine Lieblingsmusik mag ich gerne neben meiner Spotify playlist auch auf dem Plattenteller anhören :)

  • #5

    Micha (Donnerstag, 06 April 2023 11:44)

    Mega wieder von dir zu hören. In meinen schlimmsten dunklen Phasen, wenn ich glaube das ich nicht mehr fühlen kann, höre ich, unter anderem, deine Musik und fühle. Vielen Dank ❤️

  • #6

    Marco (Freitag, 07 April 2023 18:49)

    Hey hey :)

    Ich denke und hoffe das sehen alle so dass du niemanden enttäuschen wirst da du deiner Meinung nach nicht konsequent bist.

    "Der denkende Mensch ändert seine Meinung" .

    Schööön wieder neue typisch gute berührende Musik von dir zu hören. Auch ich würde jedoch ohne zu zögern sofort wieder eine Vinyl von dir in mein Regal stellen.

    Liebe Grüsse aus der Schweiz

  • #7

    Natalie (Samstag, 08 April 2023 20:20)

    Ich glaube, dass jeder von uns in der Lage ist, auf ganz besondere Art und Weise mit Anderen in Verbindung zu treten. Bei Dir ist es durch die Musik. Das muss nicht falsch sein und trotzdem muss es auch nicht für immer so sein. Tu, was Dir Freude macht, so lange es Dir Freude macht. Und erklären oder rechtfertigen musst Du uns gegenüber gar nichts. Du bist nur einem Menschen gegenüber etwas schuldig und das bist Du selbst. Ich wünsche Dir eine Leichtigkeit in der es genug Vertrauen gibt für schwere Tage. Danke für Dein Dasein. Viele Grüße Natalie

  • #8

    Kay (Montag, 10 April 2023 22:31)

    Hallo Hannes,
    freut mich auch von dir zu hören und auch, dass du das Gefühl hast das Tal durchschritten zu haben. Ich bin da auch irgendwie durch und musste ähnlich Federn lassen und muss es teilweise immernoch, nur sich qdass das mittlerweile nicht mehr schlimm anfühlt. Ich hoffe du fühlst das irgendwann ähnlich. Ich/du bist eben nicht für jede:n verantwortlich und kannst es nicht jede:m recht machen, auch wenn das oft wehtut. Deinen inneren Konflikt bzgl. Streaming Plattformen kann ich gut verstehen. Um im Bild zu bleiben, wenn ein Kassettenhersteller oder Radiosender pleite geht, dann nutzt mensch halt einen anderen. Bei den Streaming Plattformen ist das nicht so leicht, weil dann ja auch die Playlisten und Kontakte weg sind. Das nur mal so als Gedanke.
    Liebe Grüße Kay

  • #9

    Joachim (Samstag, 15 April 2023 22:18)

    So schön, der Weg ist immer das Ziel und dein Weg scheint der richtige zu sein. RESPEKT! Freu mich auf Hamburg!!!

  • #10

    Tim (Sonntag, 16 April 2023 00:35)

    Ein schöner Song; hilft die Liebe für
    die Menschen mit der Abscheu für die Menschheit zu vereinen.

  • #11

    Ralf (Montag, 24 April 2023 16:35)

    Hey Hannes, ich freue mich riesig darauf, Dich im Herbst in Köln wieder zu sehen und zu hören. Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute!

  • #12

    Jaqueline (Montag, 24 April 2023 22:34)

    Lieber Hannes,

    ich kann nur für mich sprechen, aber vielleicht hilft es. Musik höre ich, obwohl ich selbst Musikerin bin, fast ausschließlich über Streaminganbieter. Meine Lieblingskünstler:innen, Alben und Songs sind so permanent an meiner Seite. Zusätzlich kaufe ich dennoch die Alben für meine Sammlung. Es muss also nicht immer ein "entweder/oder" sein.

    Liebe Grüße
    Jaqueline

  • #13

    Thomas (Dienstag, 19 September 2023 23:41)

    Danke!
    Bin gerade nochmals auf Deine Seite gestolpert und habe mich ein wenig und doch auf so wunderbare Weise verloren. Leider schaffe ich es nicht zu Deiner Kurztour, da ich in genau dieser Woche zu weit weg sein werde. Ich hoffe auf ein paar gesunde Stunden und den Wagemut noch einmal mehr auf Tour zu gehen. Pass auf Dich auf!

  • #14

    Tobi (Montag, 02 Oktober 2023 16:27)

    Ich freue mich ganz dolle auf heute Abend!

  • #15

    Julia (Samstag, 07 Oktober 2023 23:19)

    Lieber Hannes, der Abend mit Dir war sehr schön. Danke! Ich bin froh, dass es Dir wieder besser geht. Pass auf Dich auf!

  • #16

    Franziska (Mittwoch, 01 November 2023 11:19)

    Lieber Hannes,

    ja, bitte, mach es dir leicht!

    Es ist absolut nicht schlimm, wenn du deine Musik wieder auf Streamingplattformen anbietest und Ticketpreise für deine Konzerte hast. Du hast es ausprobiert, dich den kapitalistischen Logiken zu entziehen und du hast viel gelernt (und deine Fans mit dir), aber keiner von uns verlangt, dass du märtyrermässig an etwas fest hältest, wenn du gemerkt hast, ach ne, das geht anders doch irgendwie besser und leichter.

    Ich wünsche dir von Herzen Freude am Musikmachen, Musikgenießen und Tanzen, im Kontakt mit deinem Publikum, im Kontakt mit dir...

    Liebe Grüße, Franziska

    PS: Ich empfehle als Lektüre "Big Magic" von Elizabeth Gilbert. Ist ein gutes Buch für alle, die Kunst machen. Ihr Motto: "Leicht, leicht. Immer leicht."

  • #17

    Christine (Sonntag, 28 Januar 2024 09:40)

    Grüß Dich lieber Hannes,
    alles was ich von Dir lese kann ich nachvollziehen.
    Ich finde Deine Lieder total schön, möchte mich nicht anmelden müssen um sie zu kommentieren und Dich zu unterstützen. Du wirst Deinen Weg finden.