Hängen mit Hannes

Hallo ihr lieben Menschen,

ich hab mal wieder ein kleines Experiment gewagt. Es hört auf den Namen "Hängen mit Hannes" und ich hab das Gefühl, selten etwas Sinnvolleres gemacht zu haben.

In den letzten Monaten hab ich in meinem Umfeld (und bei mir selbst) wahrgenommen, dass der zweite Lockdown psychisch doch wesentlich tiefere Spuren hinterlässt als der erste und der Mangel an sozialen Kontakten bei nicht wenigen ziemlich aufs Gemüt schlägt. Fremde Menschen hab ich seit Herbstbegin überwiegend mit Maske und auf Abstand gesehen und über diverse Medien hab ich in der Regel vor allem viel Schlechtes über sie gehört. Ich kann nicht leugnen, dass das auf Dauer etwas mit mir und meinem Menschenbild macht. Ich hab also darüber nachgedacht, was ich in meiner Rolle als Musikertypsi mit Kanälen zu Leuten, die sich ja vielleicht ganz gut untereinander verstehen würden, dagegen tun kann. Ende Dezember hab ich dann angefangen, Online-Treffen mit jeweils ca. zehn Personen anzubieten, für alle, die sich einsam fühlen oder schlicht und einfach mal wieder ein paar nette neue Gesichter vertragen könnten.

Die Treffen finden mit der Software SpatialChat im Browser statt. Mara Wild hat mir einen schönen WG-Party-Hintergrund entworfen, auf dem man sich dann frei bewegen kann.
Die Treffen finden mit der Software SpatialChat im Browser statt. Mara Wild hat mir einen schönen WG-Party-Hintergrund entworfen, auf dem man sich dann frei bewegen kann.

Die Theorie war dabei, dass Menschen, die mit dem was ich so mache etwas anfangen können und mir daher z.B. auf Telegram folgen, sich bestimmt auch untereinander etwas zu sagen haben. Ich hab auf den ersten drei Treffen insgesamt 15 Stunden mit ca. 40 Teilnehmer*innen im Alter von zwanzig bis siebenundsechzig verbracht und tatsächlich noch nie innerhalb so kurzer Zeit mit so vielen unbekannten Menschen in so einer Tiefe über so viele verschiedene Dinge gesprochen.
Es ging um Einsamkeit, den Umgang miteinander im öffentlichen Raum, Arbeit und Selbstausbeutung, Scham, toxische Beziehungen, Frauen in Bands bzw. was für einen Quatsch sie sich teilweise anhören müssen, alternative Wohnkonzepte, Musik, Podcasts, Hühner, Privilegien, und, und, und ...

Da war die alleinerziehende Mutter und Angestellte aus Berlin, die meint, dass sie gerade eigentlich nur noch aus Arbeit und Mama-Sein und vielleicht einmal die Woche Spazierengehen besteht, der frischgebackene Referendar aus Bad Reichenhall, der dort coronabedingt einfach noch kein Schwein kennt und die Mikrobiologin aus Baden-Württemberg, der es ganz ähnlich ergeht. Eine Hamburgerin meinte nach einem ca. einstündigen Gespräch über Konsumverzicht und Nachhaltigkeit, dass sie das ja alles spannend und wichtig fände, sie gerade aber so viel mit sich selbst und ihren eigenen Baustellen zu tun habe, dass sie sich nicht so viele Gedanken darüber machen könne - und ich bin ein bisschen gerührt, dass sie sich vor zehn wildfremden Leuten traut das so offen anzusprechen ohne Angst haben zu müssen, dafür vielleicht von den anderen verurteilt zu werden. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass das sich-ja-irgendwie-um-die-Ecke-Kennen für einen saftigen Vertrauensvorschuss gesorgt hat und das eingebettet-Sein in einen schönen Hintergrund beim Sprechen für eine geringere Exponiertheit sorgt als die üblichen Videokonferenz-Kacheln.

Und dann wurde natürlich auch einfach sehr viel Quatsch erzählt, gespielt und vor allem gelacht. Zwischen den Feiertagen hat eine Teilnehmerin sogar spontan ihren Geburtstag mit teils wildfremden Menschen aus den drei ersten Treffen im Raum gefeiert, weil sie sonst ohne WG alleine zu Hause gesessen hätte. Für mich war das übrigens dann das zweite Mal innerhalb von zehn Tagen, dass ich am folgenden Tag mit einem Kater vom Abhängen im Internet aufgewacht bin ...

Mara hat für den Abend sogar extra den Raum dekoriert und ein Kuchen-GIF mit flackernden Kerzen gebastelt.
Mara hat für den Abend sogar extra den Raum dekoriert und ein Kuchen-GIF mit flackernden Kerzen gebastelt.

Zwischendurch hab ich immer wieder einfach nur das Treiben beobachet und mich innerlich gefragt, warum ich so etwas selten bis nie im "echten" Leben erlebe. Es ist ja nicht erst seit der Corona-Pandemie so, dass Menschen in der westlichen Welt zunehmend mit Einsamkeit zu kämpfen haben und es einen erheblichen Mangel an öffentlichen Orten mit Möglichkeiten zur Begegnung gibt, die nicht in irgendeiner Form an Konsum gekoppelt sind. Dabei tut es den Allermeisten so gut, diese spontane Nähe zu spüren - oder mit den Worten einer Teilnehmerin:

Das fühlt sich gerade echt ein bisschen an wie viel länger als geplant auf einer Party gewesen zu sein, weil's einfach super schön war, obwohl man vorher gar nicht so sicher war, wie's wird, weil man die Leute nicht kannte. Das hatte ich das ganze Jahr noch nicht.

Tatsächlich verkörpern dieser Online-Raum und die darin entstandenen Kontakte viel von dem, was ich mir eigentlich unter dem Begriff "soziale Medien" vorstelle.

Mich hat die ganze Geschichte, bei aller Skepsis die man aktuell (oder generell) vielleicht so mit sich rumträgt, vor allem mal wieder daran erinnert, dass ich Menschen einfach sehr sehr sehr gerne mag, und dass das letztendlich auch der Hauptgrund und Antrieb für all das ist, was ich in den letzten Jahren so veranstaltet hab.

Inzwischen haben sich über verschiedene Kanäle achtzig weitere Leute gemeldet und ich bin fleißig am Termine koordinieren, Exceltabellen erstellen und Nachrichten schreiben. Die ersten Gruppen fangen an, sich selbst zu organisieren und planen weitere Treffen. So ensteht da gerade eine kleine Nische im Internet, in der ein paar Menschen im Lockdown ein bisschen soziale Interaktion tanken können.
Wenn ihr auch Interesse an einem (oder dann eben mehreren) Treffen habt, weil ihr euch einsam fühlt oder neben der lokalen "Quarantänegemeinschaft" auch mal wieder ein paar neue Nasen sehen möchtet, könnt ihr euch gerne HIER per Mail bei mir melden. Je nachdem wie viele Anfragen so eintrudeln, seh ich zu wie ich das koordiniert bekomme.

Nachtrag 21. Januar:
Inzwischen gibt es keine "organisierten" Treffen mehr. Der Raum ist dafür einfach an drei Tagen in der Woche offen für alle und wird auch rege genutzt. Meldet euch gerne unter der gleiche E-Mail-Adresse, wenn ihr mal vorbei kommen möchtet.


Ein Grund, warum ich gerade so viele Stunden damit zubringen kann, Online-Treffen zu organisieren und Privatnachrichten an dutzende Menschen zu schreiben, ist der, dass ich aufgrund eurer Spenden und Daueraufträge trotz Corona finanziell relativ gut durch das Jahr gekommen bin. Mir ist durchaus bewusst, dass das für Leute aus dem Kulturbereich gerade alles andere als selbstverständlich ist. Fühlt euch also mal innigst umarmt dafür, dass ihr es mir ermöglicht, nicht nur meine Musik, sondern auch meinen Podcast, den Blog oder eben Aktionen wie diese zu meinem Beruf zu zählen.

 

Wenn ihr mir das auch weiterhin ermöglichen möchtet, könnt ihr mich wie immer sehr gerne HIER unterstützen.

Und weil 2020 wirklich richtig beschissen war und wir denke ich alle ein bisschen Trost vertragen können, möchte ich zum Schluss noch ein kleines Stück Musik von mir mit euch teilen. Aus irgendeinem Grund scheint es mit einer bemerkenswerten Verlässlichkeit alle, die es anhören, ziemlich schnell ziemlich aufzumuntern. :)

Auf dem Track kommt ein eigens kreiertes digitales Instrument aus ca. 50 verschiedenen Hupen zum Einsatz. Ich hab ihn als Intro für die Hörbuchversion vom neuen (und herzerwärmend verrückt-schönen) Kinderbuch Hey, Hey, Hey, Taxi! von Saša Stanišić & Katja Spitzer basteln dürfen, welches demnächst im mairisch Verlag erscheint.


So, dann wünsch ich euch mal ein frohes neues Jahr, habt es gut und vor allem viel Kraft für den langen Winter, überall dort wo sie gebraucht wird!

Euer

Hannes

P.S. Hier noch ein paar Schnappschüsse von den bisherigen Treffen:




Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Simone (Samstag, 02 Januar 2021 08:37)

    Hi Hannes, Rudi hat mich auf Spatial und auch auf dich aufmerksam gemacht. Ich kann das aus dem Bastelbereich nachvollziehen, was du beschreibst. Ich habe Menschen mit Bastelhinterhrund viel öfter via Zoom und Konsorten gesehen (2020) als ich es in echt wegen Reisezeiten und damit verbundenen Kosten je geschafft hätte. Und den "Kater" am Morgen kenne ich auch wenn wir dabei nicht alle Alkohol trinken. �
    Danke für das Teilen deiner Erfahrungen!
    Sei gegrüßt, Simone

  • #2

    Jan Haasler (Samstag, 06 Februar 2021 00:30)

    Lieber Hannes,
    Ich unterstütze Deinen Ansatz voll und ganz menthal aus der digitalen Datenferne.
    Dobro Jan

  • #3

    Clara (Sonntag, 28 März 2021 15:24)

    Eine tolle Sache... schön wenn die Idee so aufgegangen ist und es sich trotz Abstand wie Nähe zueinander angefühlt hat. Das zeigt, dass es auch möglich ist, über Entfernungen Verbindung aufzubauen. Und ja... so stelle ich mir auch Soziale Medien vor.... Vielleicht war Dein Anfang ein genereller Anfang für ein anderes Bewusstsein dafür....
    Also danke für die Idee....