Dogmatisch, konsequent, radikal - Mein Roadtrip durch die Grauzonen

Letzte Woche hab ich zusammen mit TV Noir einen Roadtrip von Berlin nach Hamburg und wieder zurück gemacht. Die Aktion war ein großer Spaß, ist aber auch zu Teilen ein Stück anders abgelaufen, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich nehme das mal zum Anlass um hier ein paar Worte über Grauzonen, Sponsoring und Kommunikation zu verlieren.

Anfang des Jahres hab ich einen Anruf von TV Noir-Chef Tex bekommen, bei dem er fragte, ob ich Lust hätte, bei einem Roadtrip in einem Oldtimer-Doppeldecker-Bus von Berlin nach Hamburg mitzumachen. Inklusive gemeinsamem Musizieren, Tempo 60 auf der Landstraße, Videos, Spielchen, Zwischenstopp am Badesee, zwei Konzerten und das alles in diesem wunderschönen Gefährt:

Für Infos zum tollen Projekt um die Linie 94 bitte einmal kräftig auf das Bild klicken.
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Das ist natürlich erstmal ein No-Brainer. Das TV Noir-Team ist, neben den schönen Videos und Shows, die sie seit Jahren produzieren, genau der herzliche Haufen Menschen, mit dem man so einen Trip gerne unternehmen möchte. Die Information, dass die Aktion in Kooperation mit dem Brausehersteller fritz kola passieren soll, hat mich dann kurz hinterfragen lassen, ob das alles nicht mit der Art und Weise, wie ich in Zukunft meine Musik nach außen transportiere, samt der damit einhergehenden Kritik am Kapitalismus, kollidieren könnte.

Ich habe in den letzten Monaten ein paar Entscheidungen getroffen, die manche Menschen als radikal, andere wiederum als konsequent bezeichnen würden. Welches Wort man nun verwendet, liegt ja immer im Auge der Betrachtenden. Ich möchte aber auch nicht dogmatisch sein und muss mir eingestehen, dass ich mich von vorherrschenden ökonomischen Realitäten nicht komplett abkoppeln kann. Wenn ich in unserer komplexen Welt einen ganzheitlichen Anspruch an alle meine Entscheidungen hätte, würde ich glaube ich irgendwann verrückt werden und an den Widersprüchen zerbrechen. Ich nutze nach wie vor Facebook, trage beim Tippen dieses Blogeintrags Socken von Adidas und muss mir eben auch bei Dingen wie Sponsoring überlegen, was für mich okay ist und was nicht. Die ganze Welt besteht aus Grauzonen, ich muss mich in allen Situationen einer Schattierung zuordnen, die mir entspricht und diese dann immer wieder aufs neue hinterfragen.

Meine anfänglichen Bedenken haben sich dann jedenfalls nach einem schönen Gespräch im Podcast von TV Noir, der auch Teil der Partnerschaft mit fritz kola ist, endgültig zerstreut. Diese wird dort nämlich sehr dezent kommuniziert und nimmt zu keiner Zeit den Fokus von dem, um was es eigentlich geht. Ich hab mich riesig auf die große Fahrt gefreut. Aber am Tag der Abfahrt kam auf einmal dieser Bus aus der Garage gerollt:

Wer findet die 10 Unterschiede?
Wer findet die 10 Unterschiede?

Ich bin erstmal aus allen Wolken gefallen. Das bemerkenswerte an den Grenzen der eigenen Komfortzone ist, dass man sie oft erst so richtig spürt, wenn man sie schon überschritten hat. Mit meiner Musik Werbung für eine Marke zu machen ist natürlich widersprüchlich zu meiner Positionierung, und ich wusste erstmal gar nicht, wie ich damit jetzt umgehen sollte. In erster Linie hatte ich Angst um meine Glaubhaftigkeit. Inzwischen kann ich aber auch schon wieder darüber lachen, dass ich erst einen kapitalismuskritischen Masterplan veröffentliche und ein paar Wochen später im Brause-Mobil sitze und damit quer durch Deutschand tuckere.

Was ist da passiert?
In den 2 Monaten, nachdem ich mir die Informationen zur genauen Rolle von fritz kola erfragt hatte, haben sich ein paar Dinge in der Planung geändert, die im Eifer des Gefechts und im Orga-Stress nicht an mich weiterkommuniziert wurden. So z.B. auch das Branding unseres Busses.

Tex hat sich noch während unserer Tour direkt für die Fehler entschuldigt, die da passiert sind. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass wir da beide auch einfach glorreich aneinander vorbei geredet und interpretiert haben. Wenn jeder so seine eigene Vorstellung hat, kann es passieren, dass zwei Menschen zwar dasselbe Vokabular benutzten, aber trotzdem verschiedene Dinge meinen. Selbst wenn man grundsätzlich eigentlich der gleichen Meinung ist.

Mit dem Sponsoring ist das so eine Sache. Grundsätzlich sehe ich es als großes Problem unserer Gesellschaft an, dass Marken sich über Werbung mit verschiedensten Mitteln emotional aufladen, sich Eigenschaften aneignen, die eigentlich rein gar nichts mit ihren Produkten zu tun haben, um dadurch letztendlich mehr davon an die Frau oder den Mann bringen zu können. Wir alle kaufen so viel Scheiß, den wir eigentlich nicht brauchen - Klamotten, Telefone, Autos usw. - weil uns neben dem Nutzwert (und dieser geht in der heutigen Zeit bei vielen Dingen sogar gegen Null) auch noch ein aufgeladener, irgendwie spektakulärer, aber eben auch frei erfundener Wert anspricht.

Auf der anderen Seite hat TV Noir durch die Partnerschaft mit fritz kola die Möglichkeit, die Idee vom Doppeldecker-Roadtrip samt mehrmaligem Livestream oder ihren Podcast zu verwirklichen. Es gibt kaum ein Stadtfest, Open Air oder Filmfestival in Deutschland, welches nicht zu Teilen durch Sponsoring finanziert wird, und in der Schweiz stellt die Supermarktkette Migros mit ihrem Kulturprozent jedes Jahr 1% ihres Umsatzes für Kulturförderung zur Verfügung - selbst wenn sie Verluste einfahren - und jeder kann dort eine Förderung beantragen. In den Firmen (und nicht jede Firma ist gleich ein böser Großkonzern) sitzen ja auch Menschen und die müssen sich zwischen "wir wollen etwas an die Gesellschaft zurückgeben" und "wir wollen unsere Markenidentität positiv aufladen und mehr Produkte verkaufen" genauso irgendwo innerhalb einer Grauzone einordnen.

Ich hab also eigentlich erstmal kein Problem damit, bei Festivals oder sonstigen Veranstaltungen zu spielen, die Partnerschaften mit Sponsoren eingehen (sowas wie McDonald's, die NPD oder Heckler & Koch mal ausgenommen). Vor allem wenn es dezent über Bande gespielt abläuft. Ab wann ich einen Auftritt lieber absage, lässt sich pauschal schwer sagen. Gefühlt wahrscheinlich sobald die Bande wegfällt, der Sponsor mehr in den Fokus rückt und ich anfange, mit meinem Namen oder meiner Musik mehr oder weniger direkt für etwas zu werben. Die Grenzen sind dabei fließend und in unserem Beispiel hätte ich den Roadtrip nicht mitgemacht, wenn ich vorher gewusst hätte, dass der fahrbare Untersatz gebrandet ist. Aber das liegt eben an meiner Verortung in der Grauzone, während andere Bands und Künstler*innen ihre Schwerpunkte woanders setzen. Die individuelle Entscheidung liegt dann irgendwo zwischen "um welche Marke geht es?", "hab ich Lust auf die Sache?", "passt das zu mir?" und natürlich "wieviel Gage gibt es?" (dafür ist bei uns übrigens niemand mitgefahren).

 

Beim Schreiben dieses Textes ist mir eingefallen, dass ich mal als Teenager mit meiner ersten Band als "Local Act" bei der Coca Cola-Weihnachtstour (Asche über mein Haupt) auf dem Schweinfurter Marktplatz aufgetreten bin. Damals beschränkte sich meine Auseinandersetzung mit dem Thema Sponsoring in etwa auf "GEIL, KENN ICH AUSM FERNSEHEN!" und Gott sei Dank gibt es von diesem Konzert keine Fotos. Wie sich die Zeiten doch ändern (sowohl wegen mir, als auch wegen der Tatsache, dass es von irgendwas mal keine Fotos gibt).

Vor ein paar Jahren hab ich mal ein Lied darüber geschrieben, dass es weder komplett schwarz noch komplett weiß gibt. Es geht also auch um die Grauzonen, in denen wir uns unser liebes Leben lang zurechtfinden müssen. Bei TV Noir ist dazu ein ganz wunderbares Live Video entstanden:

Danke für's Lesen!

Euer

Hannes

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Kommentare: 2
  • #1

    Simon (Freitag, 13 Juli 2018 12:25)

    weiterschreiben!
    *viel Erfolg für die Revolution, Heidelberg

  • #2

    Kurt Schmidt (Sonntag, 15 Juli 2018 01:17)

    Lieber Hannes,
    danke für die nachvollziehbaren Gedanken rund ums Thema Authentizität und passt das noch für mich (bzw. dich).
    Ich fand schon bewundernswert, dass du dich aus dem Musik-Business verabschiedet hast. Das Du weiterhin von Einnahmen leben musst ist jedem Fan klar. Wir verstehen die Nöte und können Nachvollziehen, dass der Roadtrip in einem Tour-Bus vollzogen wird. Der Deal ist klar, die Firma zahlt die Auslagen, ihr promoted die Firma. Alles klar. Wir lieben deine Musik, die von Tex und Lilly. Wir entscheiden, ob wir Fitz Cola unterstützen oder nicht. Du bist aus dieser Entscheidung raus.
    LG Ein fränkischer Fan

    PS: Viel mehr hat mich die Route genervt. Die hat ja nur zwei, drei nördliche Bundesländer tangiert. Ich hätte mich gefreut, wenn Du mal in den Süden kommst.